Fürs nächste Untoten-Treffen -- aber vor allem für die Lebenden
"Mothers keep your girls at home" heißt es mal in "The Kindness of Strangers"; ein gutes Motto fürs gesamte Album. Ein Konzept-Album (dass es sowas noch gibt!) über außergewöhnliche Morde in vielen, vielen Versionen, jeweils in die passende Musik gepackt wie die zerstückelte Leiche in den Koffer: Mal minimale Instrumentierung und mal schmelzender Geigenklang; mal Punk, mal Folk-Balladen und mal beides auf einmal, mal Ska und mal der Beweis, dass sogar Swing-Rhythmus so düster klingen kann, dass dagegen der nebelumwaberte Friedhof bei Neumond der passende Ort für den Kindergeburtstag scheint. "Song of Joy" -- wenn's nicht auf dem Cover geschrieben stünde, also, auf den Songtitel wär ich im Leben nicht gekommen: Eine düstere Ballade über ein ehedem unschuldig' Kind, ein "Le Fanu"-würdiger Text in ein typisches Balladenmotiv eingeflochten. Nicht nur hier passt Nick Caves unglaublich tiefer Bass wie vom Sargschreiner angemessen. Düsterer Punk im Balladenton -- das sowas geht, hätte ich auch nie geglaubt, bevor mir's Cave nicht vorgesungen hätte: Eine "Lovely Creature" wird en passant über Nacht kommentarlos gemordet, in romantisch assoziierter Umgebung, in atemlosem British-Ska-Ton. Nicht nur die Musik, nein, auch die Texte lohnen das genaue Hinhören, und alles stimmt zusammen, ohne je zum Klischee zu verkommen -- und zwar nicht nur, wenn einem in dieser "Stagger Lee"-Version tatsächlich die Kugeln nur so um die Ohren pfeifen. Nicht nur in P.J. Harveys Duett mit Nick Cave in trügerisch sanftem Balladenton als trügerische Moorhexe ("Henry Lee"), und nicht nur bei einer Kylie Minogue, die als Elisa Day in "Where the Wild Roses Grow" umworben wird -- ein Traditional traditionell und zu Herzen gehend instrumentiert. Schließlich heißt's ja auch romantisch und ergreifend: "all beauty must die".
Düster geht's also zu im Text und in der Musik, quer durch die imaginären Jahrhunderte und ihre verruchten Ecken, immer im haargenau passenden Stil: "Stagger Lee" hardboiled, und tiefmelancholisch das phantastische "Henry Lee" zeitlos die windgefegten Hochland-Moore durchgeisternd. "The Curse of Millhaven" besingt in bester Pogues-Nachfolge mit viel Folk, rotzigem Punk und allerschwärzestem Humor eine sinistre zarte Loretta, und in "O'Malleys Bar" tobt gut 14 Minuten lang ein Massenmörder, kaltschnäuzig, größenwahnsinnig, durchgeknallt -- das Ganze in provozierendem Minimal-Stil.
Am Ende dann natürlich Dylans "Death Is not the End" als tröstliches (oder ironisches?) Schlusswort, sparsam instrumentiert. Es lebt ganz vom Können der vielen hier versammelten Sänger, vom unverwechselbaren Shane McGowan bis zur ebenso unverkennbarer Kylie Minogue (warum nur singt die nicht immer so?).
Es passt halt einfach alles zusammen bei diesem Album, finstere Morde in (fast) allen denkbaren Versionen; Liebe, Wahnsinn, Größenwahn, durchgebrannte Sicherung. Die Texte bis zum Stehkragen voll mit schwarzem Humor, die Musik so abwechslungsreich wie die Möglichkeiten, vor der Zeit hingemäht zu werden. Alles hält Nick Caves düsterer unverkennbarer Bass zusammen, diese Kriegserklärung an jeden Strahlemann-Tenor. Die Höhepunkte hier nennen, bei all diesen musikalisch ergründeten Abgründen -- lieber nicht. Oder vielleicht doch: P.J. Harvey & Nick Cave mit "Henry Lee", und Cave solo mit "The Curse of Millhaven". Ohne Gewähr. |