"Während ich schlafe, wechselt Liebe ihre Farbe", so verkündet die Stimme und - unbeeindruckt der Unsinnigkeit - spricht die die Zeile auch noch äußerst prononciert aus, so daß aus "wäh-rend-ich" eine astreine Triole entsteht, und später: "Während ich schlafe, stürzen Rätsel und Visionen unaufhaltsam einem neuen Schicksal zu." Nicht etwa BLUMFELD spricht zu uns, dieser Spezialist, der Unfug und Manierismus auf ewig kongruent gemacht hat. Auch nicht Manne Praeker, ehemals Teilzeitsänger von SPLIFF, seibert ins Mikro, obwohl das unsägliche Timbre und die sperrige Sprachmelodie dies nahelegen. Nein, DAS AUGE GOTTES singt über "Das Kleine Leben", und daran gibt es nur zweierlei zu nörgeln: die uncharismatische Singstimme und textliche Manieriertheit der übelsten Sorte. Ansonsten hat die CD Platz eins in meiner Wohnzimmerhitparade für die nächsten Monate sicher. Dem AUGE GOTTES gelingt eine ganz erstaunliche Gratwanderung zwischen den Antagonismen Massenkompatibilität und Spartenspezifizierung. Gefällige HipHop-Grooves treffen auf Schweineorgel trifft auf Gitarre, die ihrerseits erdige Härte und Avantgardismen zu verquicken weiß. Samples werden kunstvoll einmontiert, Scratching gibt's auf die sparsame und geschmackvolle Tour. Oh ja, die Musiker können spielen und werden den dem Material innewohnenden thematischen Anforderungen durchaus gerecht. Musikpsychologisch erweckt die Platte gute Laune beim Rezipienten, obwohl DAS AUGE GOTTES insofern in der romantischen Tradition steht, als das Blasse, Kränkliche und Vergängliche seine künstlerische Aufwertung erfährt. Allein die low-fi Gitarrensounds sind in dieser Hinsicht symptomatisch. Eine moderne, urbane Platte. Wenn die Hälfte der Texte doch nur doppelt so gestelzt daherkäme wie dieser Absatz! Doch auch vokalistisch gibt es Lichtblicke, Lichtblicke, die z. B. für den unerträglich platten Beitrag zum Existentialismus-Diskurs in "Woher Weißt Du Das" (mit dieser Frage hat es sich denn auch) entschädigen. Zeilen wie "Gib-gib-gib-gibteseinengottimhimmel-gib-gib-gibgibt?" sind göttlich. Eure Platte in Gottes Ohr.
Boris Fust / Intro - Musik & so |