Man kann es sich nur sehr schwer vorstellen: Aus George Harrison, dem Mystiker der Beatles ist doch tatsächlich der griesgrämigste Zyniker der Band geworden. Als Beweis für diese Behauptung bieten wir diese fantastisch überarbeitete Ausgabe zum 30. Jahrestag seiner 1970 erschienenen, aus mehreren Platten bestehenden Solo-Darbietung. Vielleicht werden die Ausführungen im Begleitheft dieses Sets im Mini-Box-Format und die zwei Begleittexte im Innern Sie noch nicht überzeugen (das vertraute Cover wurde farbig gestaltet und verändert, es wird jetzt von einer durch Autobahnen entstellten Stadtlandschaft und von Kühltürmen eines Atomkraftwerkes ergänzt). Aber spätestens seine Bemerkungen werden es schaffen, wenn er sich für Phil Spectors "big production" entschuldigt (etwa so, als ob Da Vinci am Lächeln der Mona Lisa herummäkeln würde) oder zumindest seine lässig-sarkastischen Neu-Überlegungen des Jahres 2000 zu "My Sweet Lord" werden hier erfolgreiche Überzeugungsarbeit leisten. Bei einer solchen Einstellung kann es einen nicht verwundern, dass Harrison eine Aufnahmepause von anderthalb Jahrzehnten einlegte. Dennoch kann auch solch grantige Selbstzerfleischung nicht von dem zugegebenermaßen übertrieben angelegten Pomp dieser Tracks ablenken, die nur die logisch konsequente Fortführung von Abbey Road waren. Es ist und bleibt Harrisons unerreichtes Meisterwerk. Neben dem entmystifizierten "My Sweet Lord" liefern auch einige Zusatz-Tracks neue Einblicke: Das unveröffentlichte "I Live for You" macht den oft übersehenen Country-Einfluss dieses Albums deutlich; alternative Takes von "Beware Of Darkness" und "Let It Down" zeigen Harrisons Können beim Songschreiben; eine Variante der Begleitmusik zu "What Is Life" demonstriert, wie penibel Spectors Produktion ablief. Und dann wäre da noch die wahrlich fantastische Mannschaftsaufstellung dieser Session zu erwähnen, zu der Eric Clapton, Ringo Starr, Klaus Voorman, Jim Gordon, Dave Mason, Badfinger, Billy Preston, Ginger Baker, Carl Rarice, Bobby Keys, Pete Drake gehören, und man höre und staune sogar Phil Collins! --Jerry McCulley |